Noëlle Karpf, Schweiz am Wochenende, 11.1.2020:
Seit 2016 plant der Verein «Schlafguet» in Olten eine Notschlafstelle für den Kanton. Auch diesen Winter kann keine realisiert werden. Weitermachen will der Vorstand aber auf jeden Fall, erzählt Mitglied Timo Probst- auch wenn es nicht immer ganz einfach ist.
Einen Tag lang marschierten die Vorstandsmitglieder von «Schlafguet» diesen Winter durch Olten. Jede Brache schaute man sich an. Und kontaktierte zuständige Grundbesitzer und Immobilienfirmen. Immer mit derselben Anfrage: Ob der Verein hier provisorisch Container aufstellen dürfte, um eine vorübergehende Notschlafstelle für Obdachlose und Menschen in Not zu errichten. Auch die Antwort war stets dieselbe: Nein. Dabei waren schon die Container einer Art Plan B.
Zuvor hatte der Verein, 2016 gegründet, nach Liegenschaften für eine Notschlafstelle gesucht. Auch dabei war man erfolglos.
Seit rund 2 Jahren sucht auch Timo Probst mit. Probst, 24, Techniker im Kino und Geschichtsstudent, ist im Vorstand des Vereins, der auch diesen Winter keinen Standort für eine Notschlafstelle im Kanton gefunden hat. Aussichtslos sei die Sache aber keineswegs – «sonst könnten wir ja gleich aufgeben». Und das will der Verein nicht.
Angst vor Randständigen, oder fehlendes Interesse?
Notschlafstellen gibt es im Kanton schon seit Jahren nicht mehr. Es gab sie als Reaktion auf die früher offene Drogenszene, dann verschwanden sie nach und nach. In umliegenden Kantonen werden noch Notschlafstellen betreut – etwa in Biel, Basel und Baden. Dort hiess es auch schon, man betreue immer wieder auch Personen aus dem Kanton Solothurn. Im Kanton jedoch sind die Behörden der Meinung, es gebe keinen Bedarf für eine Notschlafstelle. Auch in der Stadt Olten lautet der Tenor, unfreiwillig müsse niemand auf der Gasse schlafen. Wenn jemand beim Sozialdienst gemeldet ist, ist dieser auch für Notsituationen zuständig, und kann kurzfristig Obdach vermitteln.
Der Verein «Schlafguet» ist anderer Meinung. Mit dem Vorstand sind es rund 50 Mitglieder, die eine Notschlafstelle unterstützen würden. Dank deren Beiträge hätte der Verein genügend Kapital, um den Betrieb in einer ersten Phase finanzieren zu können. Gerade zur Weihnachtszeit gehen auch immer wieder Anfragen ein, ob man Kleider oder Nahrungsmittel spenden könne. Auch vergangene Festtage musste Probst jedoch an Notschlafstellen in anderen Kantonen verweisen – weil es diejenige in Olten eben noch nicht gibt.
UMFRAGEBraucht es im Kanton Solothurn eine Notschlafstelle?Ja, unbedingt – auch bei uns gibt es schliesslich ObdachloseJa – weil Plätze in Notschlafstellen anderer Kantone teurer sindNein – Obdachlose gibt es ja nicht wirklich bei unsSicher nicht – der Sozialdienst kümmert sich bereits um diejenigen, die Hilfe wollenJETZT ABSTIMMEN
Probst ist Mitglied bei der Jungen SP Region Olten und bezeichnet sich selbst als Linken. Als früher noch aktives Mitglied besuchte er die Gründerversammlung des Vereins 2016, und folgte gut ein Jahr später einem Aufruf zur Unterstützung und trat dem Vorstand bei. Doch nun scheint die Situation festgefahren: Der Verein findet keinen Standort. Weder in leer stehenden Gebäuden noch auf Brachen oder Parkplätzen durfte man eine Notschlafstelle errichten oder die erwähnten Container aufstellen.
«Es ist nicht ganz einfach», sagt Probst. Manchmal auch ernüchternd: «Du rufst bei einem grossen Basler Immobilien-Unternehmer an und fragst, ob Du eine kleine Ecke auf seinem grossen Grundstück haben kannst – und weisst meist schon im Voraus, dass die Antwort ‹Nein› sein wird.» Manchmal denke er sich schon: «Das kann doch nicht sein!»
Probst nennt für die Absagen zwei mögliche Gründe. Einerseits seien gerade grosse Firmen kaum daran interessiert, nur Teile von Grundstücken oder Gebäuden zu vermieten – schon gar nicht temporär. Andererseits hätten – private oder öffentliche – Besitzer von Bauten oder Brachen oft Bedenken dazu, wie wohl die Nachbarschaft auf eine Notschlafstelle reagieren könnte. «Man hört ‹Obdachlose› – und denkt wohl an Lärm, Gewalt und Drogen», sagt Probst. Aber erstens gebe es Regeln in der angedachten Notschlafstelle und zweitens sei dieses Bild falsch, zu negativ behaftet.
Am Schluss gehe es darum, Personen im Winter ein Bett an der Wärme bieten zu können. «Sie kommen, schlafen hier, gehen wieder – fertig», so Probst. Die Notschlafstelle solle Personen dienen, die vor häuslicher Gewalt fliehen, Obdachlosen auf der Durchreise, Personen, die in keinem System registriert sind oder sich nicht vor Büroschluss beim Sozialdienst melden. Also auch Personen, die keine Sozialhilfe beziehen, bei keiner Sozialregion gemeldet sind – und für welche die Sozialregionen auch nicht zuständig sind. Und: Nur weil jemand freiwillig – aus welchen Gründen auch immer – aus dem System ausgestiegen sei, so der 24-Jährige, bestehe kein Grund, dieser Person keinen Platz an der Wärme zu bieten – gerade jetzt bei den aktuellen Temperaturen.
Projektbericht der FHWN bringt frischen Wind
Bei den offiziellen Stellen stösst man auf keine Unterstützung. Darauf ist jeweils die Bestürzung auf Social Media gross, wenn etwa ein Foto einer obdachlosen Person auf der alten Holzbrücke in Olten gepostet wird. Konkrete Ideen für Standorte biete aber auch dort niemand. Das frustriert Probst weniger. «Ich will niemandem die Motivation absprechen; es ist halt schwierig, konkret zu helfen.»
Etwas Rückenwind erhofft sich der Verein nun von einem Projektbericht der Fachhochschule Nordwestschweiz. Vier Studierende haben sich mit dem Thema Notschlafstelle in Olten befasst und ein Handbuch für den Verein «Schlafguet» erstellt. Aus der Arbeit geht etwa auch hervor, dass es je nach Sozialregion wöchentlich und regelmässig Personen ohne Obdach gibt, die um eine Notunterkunft bitten. Dass es die Notschlafstelle braucht, ist für den Vorstand und Probst nach wie vor unbestritten. «Es ist halt ein langer, teils mühseliger Prozess – aber es ist auch gut, dass es diesen in der Region gibt», so Probst. «Irgendwann finden wir etwas – vielleicht auch, weil jemand jemanden kennt, der jemanden kennt, der weiterhelfen kann.» Auch wenn das noch den nächsten Winter daure. Oder noch ein weiteres Jahr.