06.04.2022 07:49 – David Annaheim, © Neue Oltner Zeitung
Stadtrat Raphael Schär-Sommer informiert, inwiefern sich die Sozialdirektion via Stiftung «Raum für soziale Projekte» ins Projekt einbringt

Ab November könnte im Oltner Schöngrundquartier eine Notschlafstelle eröffnen. Die entsprechende Liegenschaft gehört der Stiftung «Raum für soziale Projekte», in dessen Stiftungsrat auch der Stadtrat vertreten ist. Sozialdirektor Raphael Schär-Sommer erklärt, weshalb die Rolle der Exekutive dennoch eher passiv daherkommt.
Olten Der Blick ins aargauische Baden zeigt: Eine Notschlafstelle kann dort offenbar ohne negative Vorkommnisse betrieben werden (siehe Infobox «Die Situation in Baden»). Ob die Befürchtungen von Anwohnenden im Oltner Schöngrundquartier, welche sich durch das geplante Notschlafstellen-Projekt des Vereins «Schlafguet» an der Bleichmattstrasse 21 in ihrem Idyll bedroht fühlen, berechtigt sind, wird sich bei einer allfälligen Realisierung des Projekts weisen. Die Rolle, welche der Stadtrat im Projekt spielt, blieb aber auch nach der Beantwortung einer entsprechenden Interpellation (eine förmliche Anfrage) der Gemeinderäte und Schöngrundbewohner Urs Knapp (FDP) und Marc Winistörfer (SVP) noch ziemlich diffus. Die Interpellanten wollten vom Stadtrat wissen, wie sich nach dessen Ansicht die Sicherheitslage im Quartier mit einer Notschlafstelle entwickeln werde und wie er den Standort mitten im Quartier und unmittelbar bei einer Schule beurteile. Zudem wurde gefragt, was der Stadtrat zu tun gedenke, damit die gefühlte Sicherheit der Betroffenen nicht beeinträchtigt werde.
In seiner Antwort auf die Interpellation schreibt der Stadtrat, dass die Sozialdirektion Ende August 2021 über das Projekt informiert wurde und «dass mit dem vorgeschlagenen Konzept eine existierende Lücke im Sozialsystem geschlossen werden kann.» Der Stadtrat werde die weitere Planung, Entwicklung und allenfalls Umsetzung des Projekts jedoch genau verfolgen; Ängste aus dem Quartier würden mit den sozialen Anliegen von Schlafguet abgewägt und nötigenfalls entsprechende Massnahmen getroffen. Nach einem befristeten Pilotbetrieb gelte es dann, die Frage des Standorts nochmals zu prüfen und aufgrund der gemachten Erfahrungen die Weichen zu stellen, ob in der Stadt Olten längerfristig eine Notschlafstelle benötigt werde und wo diese untergebracht wäre. In erster Linie liege die Verantwortung des Projekts aber bei «Schlafguet».
Der Stadtrat sitzt im Stiftungsrat der Liegenschaftsbesitzerin
Eine Information, welche der Stadtrat im Rahmen der Beantwortung der Interpellation offenbar nicht als relevant erachtete: Er sitzt seit vielen Jahren im Stiftungsrat der Stiftung «Raum für soziale Projekte» – kurz «Stiftung Raum». Diese hatte im Januar 2021 die Liegenschaft erworben, in der das Notschlafstellen-Projekt realisiert werden soll. Wie ist diese eher defensive Rolle des Stadtrats also mit der Stiftungstätigkeit zu vereinbaren? Und: Wie ist es möglich, dass die Sozialdirektion gemäss Antwort der Interpellation erst im August über das entsprechende Projekt informiert worden sein soll, wenn die Liegenschaft schon Monate zuvor erworben wurde?
Wie Sozialdirektor Raphael Schär-Sommer, der seit dem vergangenen November anstelle seiner Vorgängerin Marion Rauber im Stiftungsrat sitzt, auf Anfrage mitteilt, wurde die Liegenschaft an der Bleichmattstrasse von der Stiftung Raum am 1. Januar 2021 entsprechend dem Stiftungszweck erworben. In der Folge seien verschiedene künftige Nutzungen der Liegenschaft diskutiert worden. In diesem Zusammenhang wurden unter anderem auch erste Gespräche mit dem Verein «Schlafguet» geführt.
In der Stiftungsratssitzung vom 29. Juni wurde schliesslich entschieden, die Zusammenarbeit mit dem Projekt «Schlafguet» zu intensivieren und die Verhandlungen über einen möglichen künftigen Mietvertrag aufzunehmen. Die Sitzung fand zwar krankheitsbedingt ohne Anwesenheit des Stadtrats statt, der Gesamtstadtrat erfuhr darüber aber noch in alter Zusammensetzung an einer Stadtratssitzung in Kurzform unter dem Traktandum «Mitteilungen».
Über das konkrete Projekt des Vereins Schlafguet sei Schär-Sommer, der sein Amt als Stadtrat am 1. August angetreten hatte, wie in der Beantwortung der Interpellation geschrieben, Ende August erstmalig ausführlich beim Treffen des Vereins mit der Sozialdirektion informiert worden. «Dieser Austausch war sehr informativ und das Projekt hat mich als verantwortlichen Stadtrat und auch die fachliche Ebene (Anm. d. Red.: gemeint ist der Verwaltungsleiter) überzeugt», so Schär-Sommer. «Weiteres über die Rahmen-, Mietbedingungen etc. wird wohl an einer der nächsten Stiftungsratssitzungen wieder thematisiert werden, sofern das Projekt bis dahin spruchreif ist.» Dem Stadtrat ist es allerdings wichtig zu bemerken, dass sich durch den Stiftungszweck die Einflussnahme des Gesamtstadtrats entsprechend in Grenzen halte: «Aus unserer Sicht ist daher ein betreutes Angebot womöglich quartierverträglicher als ein unbetreutes», so der Sozialdirektor.
Das sagen die Interpellanten
Was halten die Interpellanten von der Stiftungstätigkeit des Stadtrats? Für Urs Knapp ist klar: «Bei einer guten ‹Public Governance› darf der für die Sozialdirektion zuständige Stadtrat nicht gleichzeitig auch auf der anderen Seite sitzen – also in einer Organisation, welche gegebenenfalls Subventionen und Leistungen von der Stadt in Anspruch nehmen will.» Dies führe zu unlösbaren Interessenskonflikten: «Wie soll Sozialdirektor Raphael Schär-Sommer unabhängig über ein Anliegen der ‹Stiftung Raum für soziale Projekte› oder der damit verbundenen Organisationen entscheiden, wenn er gleichzeitig auch im Vorstand dieser Stiftung ist? Meine Antwort: Er kann dies nicht – und jeder Stadtrat-Entscheid hat ein ‹Gschmäckle›. Die Anwohnenden im Schöngrundquartier werden sich in der vorliegenden Thematik dementsprechend sicher nicht durch einen Stadtrat angemessen vertreten fühlen, wenn ein Mitglied auch auf der ‹Gegenseite› tätig ist.»
Ähnlich tönt es bei Marc Winistörfer: «Ich finde es sehr stossend, dass der Stadtrat nicht transparent über den Umstand, dass ein Mitglied von Amtes wegen im Stiftungsrat Einsitz nimmt, informiert hat. Mit der Interpellations-Antwort wird der Eindruck erzeugt, dass der Stadtrat keine Einflussmöglichkeiten hätte, obwohl das Gegenteil der Fall ist.» Der Verweis des Stadtrats auf den Stiftungszweck, der eine Einflussnahme auf die Entscheidungen des Stiftungsrats einschränken würde, sei eindeutig eine Ausrede: «Die ehemalige Vertreterin des Stadtrats, Marion Rauber, bzw. der aktuelle Vertreter, Raphael Schär-Sommer, hat im Stiftungsrat die Interessen der Oltner Einwohnerschaft, wozu ja auch die Anwohnenden zählen, zu vertreten. Wenn der Stadtrat dies aus politischen Gründen nicht will, ist dies natürlich sein gutes Recht. Es wäre dann aber nicht mehr als anständig, dies auch klar zu kommunizieren und den Anwohnern reinen Wein einzuschenken.» Dazu passe auch, dass sich der Stadtrat bei der Beantwortung der Interpellation lieber eingehend mit der Gewaltenteilung im Bewilligungsverfahren auseinandergesetzt habe, anstatt in einem Konzept aufzuzeigen, wie möglichen Problemen begegnet werden könnte. Und: «Sollte es dann zu Problemen kommen, ist schon heute klar, dass niemand im Stadtrat die Verantwortung übernehmen will.»
David Annaheim
Link zum Original-Beitrag: https://www.noz.ch/olten-niederamt/detail/article/geplante-notschlafstelle-wie-viel-einfluss-hat-der-stadtrat-00211436/